Es ist 17:58 Uhr mein Kräutermagerquark mit Sellerie- und Gurkensticks steht auf meinem Schreibtisch parat. In zwei Minuten läutet der tägliche Essensgong und es heißt AUS, AUS, das Essen ist AUS. Rien ne va plus. Nach 18 Uhr wird nichts mehr gegessen. Den ersten Gemüsestick belade ich mit einer mehr als ordentlichen Portion Dip. Wie gut es tut nach fünf Stunden wieder etwas zu essen! Mein tägliches Ritual wird durch ein schrilles Telefonklingeln gestört. „Ich muss drangehen“, dämmert es mir nach dem zweiten Klingeln. Auf „Hano, mei Nahhme is Venea Holnade“ (deutlicher klappt’s mit zähem Quarkklops auf der Zunge nicht) folgt ein irritiertes „Tschuldigung hab mich verwählt“. Ich lege auf und mein Blick fällt auf meine Uhr: 18:01 Uhr. Mist! Da es jetzt eindeutig zu spät für ein Abendessen ist, packe ich Quark und Gemüse wieder in die Schüsselchen und trinke nur einen Schluck Wasser. Freudestrahlend fällt mir ein: „Damit bleibe ich wenigstens mal deutlich unter meinem 1000-Kalorien-Limit. Da ich ja nicht frühstücke, die letzte Mahlzeit des Tages grad verpasst habe und Zwischenmahlzeiten absolut verboten sind, blieb mir nur das Mittagessen. Super Tag!“ Ich glaub, ich hab heute den heiligen Gral der Ernährungsregeln erreicht. Profi ist eben Profi! :-)

Ernährungsmythen auf der Spur

Ich gestehe, die eben beschriebene Szene ist frei erfunden und hat absolut gar nichts mit meinem täglichen Essverhalten zu tun, noch stellt sie in irgendeiner Weise ein Idealbild dar. Doch sie beinhaltet so einige Ernährungsmythen, die sich hartnäckig halten. Genau um diese soll es im heutigen Post gehen.

1. Ernährungsmythos: Nach 18:00 Uhr nichts mehr essen

Ich weiß nicht, wer diese konkrete Uhrzeit als letzten Zeitpunkt für die tägliche Nahrungsaufnahme definiert hat – besteht da vielleicht ein Zusammenhang mit der Tagesschau? Hintergrund für diese Empfehlung ist auf der einen Seite, dass man abends (vor dem Fernseher) keine Süßigkeiten oder Snacks mehr isst und damit Kalorien einspart, was den Gewichtsverlust begünstigt. Auf der anderen Seite entsteht bis zur nächsten Mahlzeit, dem Frühstück, eine relativ lange Fastenzeit für den Körper, in der er sich die benötigte Energie aus den körpereigenen Reserven holen muss, was wiederum den Gewichtsverlust positiv beeinflusst. Dieser Tipp richtet sich ursprünglich an Personen mit Übergewicht und hat in einer gesunden, „normalen“ Ernährung nichts zu suchen. Wann man die letzte Mahlzeit zu sich nimmt, sollte vom individuellen Tagesverlauf und vom eigenen Hungergefühl abhängig gemacht werden – das empfehle ich auch Abnehmwilligen, da die Gefahr des abendlichen Heißhungers mit dem „Nach-18-Uhr-Essensverbot“ sehr groß sind. Wer das Abendbrot zum Beispiel gemeinsam mit der Familie immer zu einer bestimmten Uhrzeit einnimmt, der kann ja auch bei diesem schönen Ritual seine Portionsgröße anpassen, so wie es einem gerade gut tut.

2. Ernährungsmythos: Abends keine Kohlenhydrate essen

Auch dieser Mythos steht eigentlich im Verhältnis zum Thema Abnehmen. Wenn man abends auf Brot, Reis, Nudeln und Co. verzichtet und stattdessen Tofu, Pute oder Ei mit Gemüse kombiniert isst, führt das zu einem nächtlichen Insulintief. Insulin schleust als lebensnotwendiges, aufbauendes Hormon aufgenommene Kohlenhydrate in die Körperzelle. Damit ist es maßgeblich an der Energiegewinnung beteiligt. Wenn dieser aufbauende (anabole) Vorgang im Körper abläuft, kann nicht parallel Fett abgebaut werden. Schwimmt durch den Kohlenhydratverzicht kein Insulin im Blut, können fettabbauende Hormone (Lipasen) aktiv werden und das Abnehmen wird begünstigt. Für eine gesunde, „normale“ Ernährung, ist es nicht notwendig, abends die Kohlenhydrate wegzulassen. Wenn vielleicht nach dem Urlaub die Hose etwas kneift, könnte man sich diesen Tipp zunutze machen – eingebettet in ein passendes Ernährungs- und Bewegungskonzept.

3. Ernährungsmythos: Auf Zwischenmahlzeiten verzichten

Ob 6 kleine Mahlzeiten, drei Hauptmahlzeiten und zwei Snacks oder drei große Mahlzeiten – es gibt unzählige Empfehlungen, wie oft man täglich essen sollte. Meiner Meinung nach sind sie alle korrekt! (Ok, nur eine Mahlzeit am Tag vielleicht nicht.) Sie sind jeweils für den Menschen korrekt, der sich mit der entsprechenden Anzahl und Größe an Mahlzeiten leistungsfähig und wohlfühlt. Mir ist es wichtig, dass jedes Essen bewusst und mit Genuss erfolgt. Die Regel „keine Zwischenmahlzeiten“ hängt, wie der 2. Mythos, mit dem Thema Insulin zusammen.

4. Ernährungsmythos: Maximal 1000 Kalorien pro Tag

In dem Archiv einer Kurklinik sind mir Tagespläne mit nur 1000 Kilokalorien untergekommen – war wohl eine Foltermethode des 20. Jahrhunderts. Diese Kalorienanzahl ist definitiv viel zu gering, unabhängig ob man abnehmen möchte oder nicht. Auch mit dem ausgeklügelsten Plan würde man es nicht schaffen, alle wichtigen Nährstoffe, Vitamine und Mineralstoffe bei dieser Kalorienmenge zu sich zu nehmen. Mangelernährung ist somit programmiert, mal abgesehen davon, dass man den Grundumsatz unterschreitet, worauf langfristig Muskelabbau folgt.

Leider geistert diese Zahl bei vielen Menschen im Kopf rum und eine tägliche Kalorienzufuhr von 2000 Kalorien, die bei einer Durchschnittsfrau passend wären, erscheinen viel zu hoch. Ich würde sehr gerne diese 1000-Kalorienmarke aus den Köpfen verbannen – wie bei dem 1. Mythos ist es eine wertlose Zahl, da sie nicht individuell gewählt wurde.

Was generell in puncto Ernährungsmythen wichtig ist

Mir liegt es sehr am Herzen, dass ihr generell bei allen Ernährungsregeln oder Empfehlungen beziehungsweise Ernährungsmythen hinterfragt, wer die Zielgruppe dieser Ratschläge ist und in welches Ernährungskonzept sie eingebettet sind. Täglich geistern Schlagworte und Sätze rund um die „richtige Ernährung“ durch die Medien und das Internet, gefühlt wird jede Woche ein anderer Nährstoff an den Pranger gestellt, was dazu führt, dass viele Menschen vor jedem Bissen ein umfangreiches Regelwerk durchgehen oder stark verunsichert sind. Leider sind bei alledem aktuelle körperliche Bedürfnisse und der Wunsch nach Genuss und Geschmack oft keine Entscheidungsparameter. Meiner Meinung nach sollen Ernährungsregeln Orientierung bieten und nicht zu Fesseln werden. Viele, so auch die hier betrachteten Ernährungsmythen haben ihren Ursprung beim Thema „Abnehmen“. Sie werden jedoch oft so isoliert dargestellt, dass der Eindruck einer allgemein gültigen Empfehlung für jedermann entsteht. So wie bei den Handlungen, die sich in meinem Fantasietext versteckt haben. Ich hoffe, ihr nehmt mir meine kleine Irreführung am Anfang des Blogposts nicht übel. Sie soll einfach mal in geballter Form zeigen, wie einengend, starr und falsch solche Regeln für Jedermann sein können. Meine klare Empfehlung an euch ist: Findet und kreiert selbst die Ernährungsregeln, die zu eurem Leben, euren Wünschen und Bedürfnissen passen. Damit fahrt ihr am besten.

Viele Grüße und bis bald

Verena